Die Küche bleibt kalt. Ein ganz persönlicher Rückblick.
Mein Name ist Husker. Clayton Husker. Ich bin Schriftsteller, Prepper und Mitglied einer Hilfsorganisation. Ich helfe gern. Wenn es Sinn macht.
Gestern erreichte mich die Anfrage unserer Bereitschaftsleitung bgzl. des Einsatzes als Wechselkraft in RLP für das Betreuungs- und Verpflegungskontingent des DRK im Einsatzgebiet. Nachdem ich über diese Angelegenheit gründlich nachgedacht habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, mich nicht für den Einsatz zu melden.
Eine solche Entscheidung kann man natürlich vorgehalten bekommen, schließlich hat man ja als Ehrenamtler eine gewisse moralische Verpflichtung, zu helfen, wo es geht. Das ist die eine Seite der Medaille. Ich sehe das tatsächlich auch so, deshalb engagiere ich mich stark in meinen Ortsverein. Ich betreue mit Kameradinnen und Kameraden zum Beispiel seit mehr als einem halben Jahr zweimal wöchentlich unsere Coronateststation (neben Vorstandsarbeit, Dienstabenden und dem ganzen Kleinkram, der anfällt) und wenn nachts der Melder geht, weil wir z.B. im Zuge eines Feuerwehreinsatzes nachalarmiert werden, springe ich bei jedem Wind und Wetter in die Einsatzklamotten. Ehrenamt ist wichtig. Ehrenamt wird gebraucht.
Aber was das Ahrtal angeht, gibt es noch eine andere Seite dieser Medaille. Bereits zwei Tage nach dem auslösenden Ereignis stand meine Einsatztasche gepackt neben meinem Bett. Bei einer Anforderung unserer Kräfte hätte ich keine Sekunde lang gezögert. Doch zunächst wurden andere Verbände abgerufen. Darüber bin ich heute, im Rückblick, sogar froh. Warum? Weil es mich davor bewahrte, etwas zu tun, das ich heute eventuell bereut hätte.
Wieso? Nun, darauf will ich eingehen.
Ich erlebte in der letzten Woche eine Art von öffentlichem Helferbashing, das ich in dieser Form noch nie gesehen habe. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass selbst in einem Katastrophengebiet inzwischen LTE-Mobilfunk der neue Standard ist, oder ob die Leute ob des Verlustes materieller Güter derart frustriert sind, dass sie jeglichen Anstand missen lassen.
Da lässt sich eine Weinhändlerin und Gourmetkennerin wortreich darüber aus, dass die weit über zehntausend Mahlzeiten, die das DRK in Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen jeden Tag verteilt, von ungenügender kulinarischer Vielfalt seien und sowieso das DRK wohl mit diesem Betreuungseinsatz völlig überfordert wäre. Man solle das doch lieber der Bundeswehr überlassen oder gleich den vielen freiwilligen Helfern, die da aus Tapeziertischen mitten im Matsch improvisierte Ausgabestellen errichten oder einem Lohnunternehmer, der mit einer fahrbaren Bratwurstbude und sendebereitem Handy werbetauglich mitten im Geschehen steht.
Und ich denke mir: Ja, wenn die alle so gut sind, dann sollten wir es denen vielleicht tatsächlich überlassen. Einfach unsere riesige, hygienisch einwandfreie Küchenlogistik einpacken, die Einsatzstäbe, Leitungs- und Führungskräfte und all die ehrenamtlichen Helfer in den wohlverdienten Urlaub schicken oder sie einfach wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen lassen, von der viele Arbeitgeber sie aus humanitären Gründen freigestellt haben.
Es ist nicht die "journalistische Berichterstattung" der oben erwähnten Weinhändlerin mit ihrem florierenden Onlinehop, die mich bewog, von einem freiwilligen Dienst im Katastrophengebiet abzusehen. Es sind vielmehr die beinahe unzähligen Kommentare unter ihren beifallheischenden Facebookeinträgen, die mir Sodbrennen veranstalten. Hunderte Menschen stimmen dort in das Helferbashing ein (von einigen wirklich vernünftigen Ausnahmen abgesehen) und pöbeln, was das Zeug hält.
Da wird sinnfrei behauptet, die Führungskräfte hätten keine Ahnung, das DRK sei unfähig, eine Lage zu bewältigen und das THW habe noch immer nicht den vollgelaufenen Keller ihres Lieblingsweinstüberls am Ahrufer leergeräumt. Das Essen sei unzureichend und werde schließlich auch nicht in jedes Milchkannendörfchen geliefert.
Was denken diese Leute eigentlich, wo und wer sie sind? Sie befinden sich mitten in einer Katastrophenlage mit weit mehr als hundert Toten, eine Jahrhundertflut hat ihre postmodernen Bausünden im Altarm und Schwemmland mit der Kraft mehrerer Atombomben in schlammigen Bauschutt verwandelt und sie beschweren sich, dass die kostenlosen Mahlzeiten nicht lecker genug sind und nicht wie auf einem Kreuzfahrtschiff 24/7 bereitstehen, serviert von freundlich lächelnden Servicehostessen?
Die Leute, die da so mutig im Internet den Mund aufreißen und fordern, fordern, fordern, sollten sich vielleicht einmal der Gesamtlage bewusst werden und ihre subjektive "Ich" Blase verlassen. Es gibt Tausende, die alles verloren haben. Es gibt Hunderte, die einen geliebten Menschen verloren haben. Die gesamte Infrastruktur des betroffenen Bereiches wurde vernichtet. Und die beschweren sich über das Essen? Das ist grotesk!
Ich habe ernste Verständnissschwierigkeiten, was solche Reaktionen betrifft. Natürlich kann man sagen, diese Betroffenen sind traumatisiert, stimmt ja auch. Aber dennoch kann man den Anstand besitzen, eine angebotene Hilfe dankbar als solche anzunehmen, ob sie nun von Hilfsorganisationen oder von ungebundenen Hilfskräften kommt.
Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, jeder in einer Krise habe Anspruch auf rundum-sorglos-Versorgung. Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, in einer Katastrophenlage habe man ausschließlich schmackhaftes Essen mit Vorsuppe und Dessert zu servieren. Die Gesetze, die das Verhalten von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben regeln, schreiben vor, dass im Falle einer Katastrophe zunächst die sogenannte Kritische Infrastruktur ("KRITIS") zu sichern sei (Kraftwerke, Talsperren, Wasserwerke usw. usf.), erst dann greift der Betreuungsauftrag für die Bevölkerung. Einfach mal die DV100 oder das "Konzept Zivile Verteidigung" lesen, das richtungsweisend auch in Katastrophenlagen Anwendung findet, lohnt sich.
Die beteiligten Hilfsorganisationen haben unmittelbar nach der Katastrophe (bzw. sogar währendessen) gewaltige Potenziale an Menschen und Material in Bewegung gesetzt, um zu retten, zu bergen und zu helfen. In dieser Größenordnung ist das meines Wissens nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland noch nie nötig gewesen. Sich nun hinzustellen und im Internet nach mehr! mehr! mehr! zu krakeelen, ist an Vermessenheit kaum zu überbieten.
Dieses Helferbashing begann mit den Empörungsvideos eines Treckerfahrers, der sich im laufenden Livestream vom Katastrophenort zum Retter der Nation aufspielte, obwohl niemand ihn darum gebeten hatte, Leute wie die weinselige Feinschmeckerin aus Minden, die sich selbst Journalistin nennt und zur Anwältin der Geschädigten erhebt, quasi den Advocatus diaboli in vino gibt, sind es, die dann dem Toben des Internetmobs Vorschub leisten und die Stimmung weiter anheizen. Was, außer "five minutes of fame" haben diese Leute davon (abgesehen vom vermeintlichen Imagegewinn für ihre lukrativen Anschlussgeschäfte)?
Wenn diese Leute längst in Vergessenheit geraten sind und ihre Pöbelbotschaften verklungen, dann werden die HiOrgs immer noch da sein. So wie immer. Und sie werden wieder helfen. Nur ich nicht. Nicht dieses Mal.
Man mag mich bitte nicht falsch verstehen. Ich empfinde großes Mitgefühl für all jene, die in den Fluten geliebte Menschen verloren haben. Ich habe den allergrößten Respekt vor Feuerwehrleuten, die im Einsatz ihr Leben gaben. Und ich bewundere alle Helfer, die trotz des Helferbashings noch immer genug Willen aufbringen, trotzdem zu helfen. Und ich gönne den Betroffenen jede nur erdenkliche Hilfe, die sie bekommen können.
Ich werde auch weiter helfen. In meinem Ortsverein, der jede Unterstützung braucht. Ich werde Coronatests durchführen, für Veranstaltungen kochen, Sanitätsdienste leisten, im Rahmen der SEG zu Alarmierungen ausrücken, im DRK Zentrum den Boden schrubben, Facebookpostings schreiben, um Mitglieder und Spenden werben und mit den Kameradinnen und Kameraden zusammen den Dienst an der Gemeinschaft verrichten. Freiwillig. Ehrenamtlich.
Aber ins Ahrtal fahre ich nicht.
NACHTRAG 09.09.2021
Im Netz reißen die Bashingorgien nicht ab. Vorwiegend rechtsbewegte User tun vom heimischen Sofa aus ihren Unmut kund über die angebliche Unprofessionalität des DRK in Sachen Catering in der Katastrophe mit Livestream. Nichts ahnend und doch scheinbar alles wissend werden die Handyvideos besagter Gourmetesse und Weinliebhaberin verbreitet und es wird z.B. gezeigt, wie angebliche "Sterneköche" die Bevölkerung mit leckeren Speisen versorgen.
Ein AfD-Fangirl weiß es mal wieder ganz genau, sie weiß auch, dass das DRK gar keine "Versorgungsstationen" unterhält. #mussmanwissen. Und überhaupt machen "die Blaulichtorganisationen" da ja gar nix. Aber die feinen Köche, die retten die Menschen. Ich persönlich würde allerdings angesichts des VIDEOS, das da kursiert, lieber dankend ablehnen...
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